Montag, 16. März 2009

Freigeld

In diesen Tagen hat mich die Lektüre von Dirk Müller positiv überrascht. In seinem Buch "Crashkurs. Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen" (mehr...) fordert er den Leser, also auch mich, dazu auf, über den Tellerrand hinaus zu denken und führt als Beispiel eines solchen Denkens den Finanztheoretiker und Begründer der Freiwirtschaftslehre, Silvio Gesell auf (mehr...). Ich wollte Gesell und der Freiwirtschaftslehre schon einmal einen größeren Blogbeitrag widmen, aber erstens hat mich die (unterstellte!) Nähe Gesells zum Nationalsozialismus und Sozialdarwinismus abgeschreckt und zum anderen fand ich, dass die Zeit noch nicht ganz reif für eine erneute Überlegung zur Freiwirtschaftslehre ist; wenngleich, das sei auch erwähnt, dieses Thema schon einmal in der Printausgabe des Spiegel aufgegriffen wurde.

Freigeld und Freiwirtschaftslehre (mehr...), das stinkt erstmal ganz gewaltig nach FDP, aber Guido Westerwelle bekommt bei diesen Worten vermutlich eher einen Schrei- oder Heulkrampf und sieht den Sozialismus vor seinem liberalen geistigen Horizont aufziehen. Dabei finde ich, lohnt sich die Beschäftigung mit dem Freigeld. Weil das Konzept eben so anders ist und weil - womöglich - die Menschheit inzwischen auch reif dafür ist, sich damit ernsthaft zu beschäftigen und weil es empirische Belege für den Erfolg dieser Theorie gibt, wie beispielsweise, in Tirol Anfang der 1930er Jahre.

Denn klar ist, dass dieses Wirtschaftsmodell, welches im Augenblick vorherrscht, das Zinseszinsmodell, kollabieren wird. Das ist kein Weltuntergangsszenario, das ich hier entwerfe, sondern ergibt sich schlicht aus der Logik. Ein See, in dem sich Algen vergleichbar den Zinsen exponentiell vermehrt, wird irgendwann umkippen. So oder so ähnlich wird es sich auch mit diesem Wirtschaftssystem verhalten, denn es ist schlicht unmöglich, dass sich das Geld exponentiell im Sinne eines Zinseszins vermehrt, ohne dass es gelegentlich zu einem Reset des Währungssystems kommt oder kommen muss - in Deutschland war dies zuletzt 1948 der Fall, als die Stunde 0 schlug und die Bundesrepublik schuldenfrei startete. Wer diese Stunde 0 mit dem aktuellen Verschuldungsstand, nicht nur der öffentlichen Hand, sondern auch der Einwohner vergleicht, wird feststellen, dass wir eine gefährliche Entwicklung haben, die es in der Geschichte Deutschlands schon einmal gab. Die auf einen weiteren Reset auf mittlere oder längere Sicht hindeutet. Was das bedeutet, brauche ich nicht weiter auszuführen, lustig wird es indes mit Sicherheit nicht.

Darum also, als kleinen Exkurs in einem kleinen Blog wie diesem, die Überlegung zum Freigeld. Was ist dieses Freigeld? Bei der Theorie des Freigeldes gibt es einen Schwund des Geldes, das man besitzt. Das heißt, dass der Wert des Geldes auf zeitliche Sicht sinkt. Wer dieses Geld in Händen hält, wird also ein großes Interesse daran haben, es loszuwerden, weil es ansonsten für ihn von essenziellem Nachteil wäre. Und wer will schon gerne Verlust erleiden? Nebenbei bemerkt: wer heute sein Geld zu drei, vier Prozent Zinsen anlegt, erleidet de facto auch Verlust. Denn die Inflationsrate, wie sie offiziell bekanntgegeben wird, mag zwar unter dieser Zinsrate liegen, richtig berechnet aber bewegt sich die Inflation in der Region um 10%. Um also keinen Verlust mit seiner Anlage zu erleiden, müsste die Rendite für das angelegt Geld eigentlich größer 10% sein. Aber bei welcher Anlageform ist das schon der Fall?

Aber zurück zum Thema: der Effekt des negativen Zinses ist es also, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigt. Und damit wird einem Problem vorgebeugt, das Silvio Gesell in Argentinien beobachten konnte und das man auch heute wieder teilweise beobachten kann, beispielsweise in Japan. In Argentinien gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine mit Gold gedeckte Währung und eine Weltwirtschaftskrise, die sich auch auf Argentinien auswirkte. Was für die Wirtschaft von Nachteil war, denn durch diese Bindung an Gold kam es zu einer echten Deflation. Eine Deflation bedeutet kurz gesagt etwas sehr Schlechtes: Die Geldmenge nimmt ab, es kommt zu sinkenden Löhnen und - ganz entscheidend - zu einer Geldhortung infolge auch eines Konsumrückgganges und damit zu einer großen Lagerhaltung der Firmen, die Firmen gehen pleite, das Personal wird entlassen, es kommt zur Massenarbeitslosigkeit.

Der Staat (ich zähle die Zentralbank dabei zum Staat) wird in seinem Bemühen, dagegenzusteuern versuchen, die Geldmenge auszuweiten, also die Deflation durch eine bewusste Inflation auszugleichen, erfolglos sein. Die Menschen werden dieses neue Geld wieder horten, so geschehen in Argentinien, zu einem großen Teil auch in Japan seit 1992. Die Unternehmen bleiben weiter auf ihrer Ware sitzen, die Preise gingen wieder nach unten. Wichtig ist, dass auch dieses neue Geld wieder gehortet wird.

Der Gedanke ist demnach also, diese Geldhortung zu vermeiden, und das geschieht nach dieser Theorie durch die bewusste Entwertung des Geldes. Irgendwie klingt das faszinierend und irrwitzig, Geld, das im Wert verfällt, nur weil man es behält. Die empirische Erfahrung aber ist interessant: es funktionierte, zumindest in einem kleinen Rahmen, im österreichischen Wörgl und hat die Folgen der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zumindest in Wörgl erheblich abgemildert (mehr...).

Das ist natürlich nur ein kurzer und kleiner Abriss für die Theorie des Freigeldes, u.a. wird bei Wikipedia darauf ausführlicher eingegangen (mehr...). Sie hat auch durchaus ihre Tücken, aber es ist erst einmal eine lohnenswerte Überlegung, der weiter verfolgt werden sollte. Dass das in der öffentlichen Diskussion nicht geschieht, hat natürlich auch seinen Hintergrund: durch das Freigeld werden die Banken in der Form, in der es sie heute gibt, nicht mehr benötigt. Und das ist selbstverständlich nicht in deren Sinne. Aber, auf der anderen Seite darf auch die berechtigte Frage gestellt werden, wie sinnvoll es ist, ein System am Leben zu erhalten, das früher oder später kollabiert und dann "neugestartet" werden muss?

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Crabby Jack

- Wäre die Erde eine Bank, hätte man sie schon längst gerettet.

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Comments

...dumm nur, dass ich...
...dumm nur, dass ich gar kein Geld in der Schweiz...
derCobold - 10. April, 22:21
Ja Mist
Du hast recht, und ich dachte zuerst, es sei Altbundespräsident...
CrabbyJack - 8. Januar, 17:12
Wenn das im Hintergrund...
Wenn das im Hintergrund nicht mal Joachim Gauck ist.
derCobold - 7. Januar, 23:59
Respekt! Ganz schön früh...
Respekt! Ganz schön früh dran, dieses Jahr. Vielleicht...
derCobold - 10. Dezember, 09:03
Respekt! Ganz schön früh...
Respekt! Ganz schön früh dran, dieses Jahr. Vielleicht...
derCobold - 10. Dezember, 09:03
Wo kommt er her? Wo geht...
Wo kommt er her? Wo geht er hin? Fragen über Fragen...
derCobold - 8. Dezember, 19:58
Das kommt davon, wenn...
Das kommt davon, wenn man kein Respekt vor dem Alter...
derCobold - 20. Juni, 20:52

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